Ein Abend voller Wortwitz, Nachdenklichkeit und gelebter Inklusion: Der 21. Scheunen-Slam am Freitag in der Herborner Kulturscheune war ein Fest für Sprache und Miteinander. Vor ausverkauftem Haus trat die „Crème de la Crème“ der deutschsprachigen Slam-Szene zum Dichterwettstreit an – mit einem außergewöhnlichen Programm zum 60-jährigen Bestehen der Lebenshilfe Dillenburg.
„Wir sind nicht nur eine Einrichtung zum Arbeiten und Wohnen — wir sind schon eine kleine, große Familie. Ich wünsche dir von Herzen, dass du so bleibst, wie du bist: hilfsbereit, zuverlässig, zielstrebig, liebevoll und ehrlich.“ Mit diesem bewegenden Brief an die Lebenshilfe Dillenburg läutete Ilonka Discher den Abend ein – gefolgt von einem „Seht ihr, wir Menschen von der Lebenshilfe können was“, von Moderator Jan Bernhardt, einem jungen Mann mit Down-Syndrom, der mit Charme und Witz gemeinsam mit seiner Moderationspartnerin Livia Warch durch den Abend führte.
Menschen mit und ohne Beeinträchtigung selbstverständlich in den Abend zu integrieren – das war das Ziel von Organisator und Lebenshilfe-Kulturreferent Sascha Kirchhoff. „Und das ist uns bestens gelungen.“ Nicht nur auf der Bühne, sondern auch daneben – etwa beim Einlass, beim Getränkeverkauf oder am Stand des Modelabels Mosja.
Die Slammerinnen und Slammer zeigten eindrucksvoll, wie breit das Spektrum moderner Sprachkunst ist. Leah Weigand aus Marburg spannte den Bogen vom optimistischen „Feel-Good“-Text über den Wert aller Lebensabschnitte („unsere allerbesten Jahre“) bis hin zur nachdenklichen Frage nach dem gesellschaftlichen Wert von Kunst: „Gedichte retten kein Leben – aber wer in der Kulturscheune sitzt, kann keinen Krieg erklären.“
Daniel Wagner aus Heidelberg setzte mit temporeichen Texten über Freiheit, Vielfalt und moralische Schieflagen Akzente, bevor er im zweiten Durchgang mit einem augenzwinkernden „Quatschtext“ voll blumiger Wortspiele überraschte.
Julian Heun, in Herborn verwurzelt und heute eine feste Größe der Berliner Slam-Szene, begeisterte vor allem mit Timing und Selbstironie. Für seinen humorvollen Vortrag über Identität und Deutschsein vergab die Jury gleich mehrfach die Bestnote. In seiner zweiten Performance schlug er den Bogen vom sensiblen Kind zum „harten Dichter“.
Wehwalt Koslovsky, Slam-Weltmeister von 2000, brachte Tiefgang und Erfahrung auf die Bühne. Mit mimischer Wucht und dialektischer Raffinesse sprach er über die Klimakrise. Sein zweiter Text nahm das Publikum mit in die Geschichte Goslars, wo er aus dem Schicksal des rebellischen Wasserknechts Parallelen zur Gegenwart zog.
Im Finale standen sich schließlich Julian Heun und Daniel Wagner gegenüber. Wagner erzählte vom Elternsein – von Schlafentzug, Tobsuchtsanfällen an der Supermarktkasse und den unterschätzten Gefahren der „Biene Maja“. Heun wiederum seziert die notorisch schlechte Laune der Berliner mit überspitzter Situationskomik. „Schlechte Laune ist das Benzin im rostigen Tank unserer ostigen Körper.“ Das Publikum feierte beide mit tosendem Applaus – und das Ergebnis lautete folgerichtig: unentschieden.
Am Ende waren sich alle einig: Gewinner gab es viele. Nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Saal. „Dieser Abend hat gezeigt, wie Kultur Brücken baut“, resümierte Kirchhoff. „Und dass am Ende alle gemeinsam als Sieger nach Hause gehen, ist vielleicht die schönste Pointe.“