„Edith, da warst du ja noch eine junge Frau. “ – „Joa.“ Gemeinsam blicken sie zurück auf ein bewegtes Leben: Edith Burbach, die älteste Teilnehmerin der Lebenshilfe-Schreibwerkstatt „1000 Zeichen“, und ihr Schreibpate, der Wohnbereichsleiter Andreas Thamer. Am 10. August feiert sie ihren 70. Geburtstag.
Seit 27 Jahren lebt Edith Burbach im Wohnheim in Manderbach. „Ein Ort, an dem sie ihren Platz im Leben gefunden und Wurzeln geschlagen hat“, wie Andreas Thamer sagt. Zuvor erlebte sie viele Jahre der Unruhe und des Missverstandenwerdens. Wegen aggressiver und hysterischer Ausbrüche kam sie immer wieder zur Krisenintervention in psychiatrische Behandlung. „Ein Drehtürpatient.“ In Donsbach, wo sie damals lebte, arbeitete sie in verschiedenen Haushalten als Putzkraft. Die Frau mit Kittelschürze, Tasche und Schirm, die Frau mit ihrer Vorliebe für Kaffee und Handarbeiten und die Frau mit den enormen Gefühlsschwankungen, deren Leben in einem Wohnumfeld wie ihrem damaligen einfach nicht funktionierte.
„Aber die haben mich da rausgeholt“, sagt die kurzhaarige Frau im Rollstuhl, deren Sprechweise durch einen Schlaganfall vor sechs Jahren leicht verwaschen klingt. Die – das waren maßgeblich Bernd Scheftlein, seinerzeit Leiter der Dillenburger Werkstätten, und Rainer Pliska vom Sozialen Dienst der Einrichtung, die immer wieder Hinweisen nachgegangen waren und Menschen wie Edith Burbach in die Betreuung der Lebenshilfe aufnehmen konnten. Nachdem sie ab 1970 in der ersten Lebenshilfe-Werkstatt am Haigerer Hindenburghügel tätig gewesen war, fand sie später nach erneutem Psychiatrieaufenthalt im Wohnheim Manderbach ein neues Zuhause. Die – das waren im diesem Fall Reinhard Etzel, damals Wohnheimleiter, und Klaus-Dieter Jung, Mitarbeiter im Betreuungsdienst. Edith Burbachs psychische Verfassung stabilisierte sich zusehends. Die Einzelgängerin lernte langsam, aber sicher, soziale Kontakte zu knüpfen. Auch an ihrem neuen Arbeitsplatz in der Werkstatt Eibelshausen, wo sie bis zu ihrer Rente 2010 tätig war.
Diese Dinge erzählt Edith Burbach nun ihrem Schreibpaten. Zahlen und Daten – all das hat sie in ihrem Kopf abgespeichert. Andreas Thamer fasst das Erzählte in 1000 Zeichen zusammen. Edith Burbachs Geschichte wird eine der Lebensgeschichten im neuen Buch, das die Lebenshilfe nach „1000 Zeichen – Begegnungen Downtown“ auf den Markt bringen wird. Gerade für Menschen mit geistigen Behinderungen ist die Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie von enormer Bedeutung für ihre eigene Identität und Selbstwahrnehmung. „Das Aufschreiben dieser Lebensgeschichten ist für Menschen wie Edith eine späte Anerkennung und ein Hineinbringen in die gesellschaftliche Mitte“, erklärt Andreas Thamer. „Edith ist eine Persönlichkeit mit einer besonderen Biografie und zeigt anhand ihrer Erfahrungen ein Stück gelebte deutsche Geschichte in der Entwicklung der Behindertenhilfe auf.“
Die Teilnahme am Schreibprojekt „1000 Zeichen“ ist jederzeit möglich und für jeden offen. Bei Fragen und Anregungen: geschichten@lebenshilfe-dillenburg.de