Fröhliche Spuren hinterlassen

Sein Zimmer im Erdgeschoss des Wohnheims Simmersbach steht nun leer. Vorübergehend, denn die Warteliste ist lang. Dennoch möchte die Lebenshilfe bewusst einen kleinen Zeitraum verstreichen lassen, um die “Lücke, die geblieben ist, bewusst spürbar zu machen”, wie Wohnheimleiterin Ulrike Wojke betont, bevor das Zimmer dann  neu belegt wird. Das Zimmer mit den “Star Trek”-Postern und den “Lindenstraße”-Autogrammen an der Wand. Das Zimmer mit der pinkfarbenen Fleecedecke auf dem Bett. Das Zimmer, das für Rudi Diessner  ein Zuhause war.

Kecker Charme und schelmisches Grinsen bleiben allen in Erinnerung

Vor allem in diesen Anfangsjahren hat Rudi Diessner viel gemalt: bunte Strichmännchen in allen Variationen. Das war seine Leidenschaft. Eine Leidenschaft, die vom Eibelshäuser Werkstattleiter Armin Reeh ab 1996 gefördert wurde. Im Brennofen stellten die Mitarbeiter Tassen und Teller her, die Rudi Diessner mit seinen Männchen verzierte. Auch Seidenschals verlieh er eine besondere Note. Darauf aufmerksam wurde zunächst die Volksbank, die die Stücke ausstellte. Dann schließlich auch die Bundesvereinigung  der Lebenshilfe, die die Männchen zu ihrem kunterbunten Erkennungszeichen machten.

Rudi Diessner erlangte mit seinen Strichmännchen auf einmal ungeahnte Popularität.  Seine Männchen zierten bald deutschlandweit Uhren, Krawatten, Taschen, Brotdosen, Shirts und sogar Autos und Kleinbusse. Auch unter den Prominenten waren die “Rudi-Männchen” ein Renner: So trug etwa Fernsehkoch Alfred Biolek eine Rudi-Krawatte, Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder  eine Rudi-Uhr. In Rudi Diessners Lieblingsserie “Lindenstraße” tickt eine Uhr mit “Rudi-Männchen”.  Rudi Diessner war fortan gefragt von den Medien. Auf die Frage, wie er es denn finde, auf einmal so prominent zu sein, antwortete er: “Das lässt mich kalt. Eiskalt.” Dann grinste er sein Rudi-Grinsen.

“Es tut weh, dass er nicht mehr da ist”, sagt Susanne Schol. “Er fehlt.” Es fehlen nicht nur sein Witz und sein Charme, sondern auch sein Eigensinn und seine Marotten: Dazu gehörten etwa seine Abneigung gegen das Baden und die ständigen kleinen Kämpfe, die er deshalb ausfocht, sein Gefallen daran, mit dem Schlägel ohne Unterlass immer wieder auf denselben Klangstab seines Xylophons zu hämmern, und seine Angewohnheit, grundsätzlich zwei unterschiedliche Socken anzuziehen.

Gemalt hat Rudi Diessner in den letzten Jahren seines Lebens immer weniger. Zum Schluss gar nicht mehr. Eine Vitrine im ersten Stock – gefüllt mit “Rudi”-Artikeln – erinnert weiterhin  an seine Kreativität. Doch was noch mehr wiegt als seine Kunst: die Erinnerung an seine großen Reh-Augen und  sein “Du bist die Beste! Ich hab‘ dich lieb”.