“Integration funktioniert nur aus einem Umfeld wie diesem heraus”

Jeder kann alles, wenn man ihn nur genügend fördert – eine Aussage, die so pauschal nicht in jedem Fall zutrifft, wie Landtagsabgeordneter Stephan Grüger (SPD) am Mittwoch bei der Lebenshilfe Dillenburg in Erfahrung gebracht hat. Nach einem mehrstündigen Gespräch und einem Rundgang durch die Dillenburger Werkstätten befand er: „Integration in den ersten Arbeitsmarkt funktioniert nur aus einem Umfeld wie diesem heraus. Ich bin überzeugt davon, dass Sie auf dem richtigen Weg sind.“

Schrauben, montieren, konfektionieren. In der Werkstatt empfing den SPD-Politiker emsiges Treiben. Er erlebte aber auch die Momente abseits der reinen Produktion.
„Wo kommst du her?“, fragte ihn ein Mitarbeiter ganz unverblümt.
„Aus Mademühlen“.
„Gibt’s da auch Pferde?“, folgte prompt die nächste Frage.
„Ja, da gibt es auch Pferde“, entgegnete der Poltiker.
„Und Hufschmiede?“
Stephan Grüger konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.

Eine besondere Welt, diese Werkstätten. Nicht nur, was die Kommunikation angeht. Eine Welt, „die lange noch nicht ausgedient hat“, wie Ralf Turk, Leiter der Dillenburger Werkstätten, betonte. „Wir halten uns nicht für eine Notlösung.“

Lebenshilfe; Besichtigung; Werkstatt; Grüger

Über zehn Prozent der Werkstattmitarbeiter der Lebenshilfe Dillenburg sind in Betrieben des ersten Arbeitsmarktes tätig – der Vertrag mit der Lebenshilfe bleibt dabei aber bestehen. Eine persönliche Begleitung des Menschen mit Behinderungen ist dauerhaft erforderlich. Zu schwankend sind oftmals Leistungskurven und psychische Verfassung. Das erfordert hohe soziale Kompetenzen im Umfeld – und vor allem: soziale Bindungen. Und die erfahren die geistig behinderten Menschen  in den Werkstätten.

„Immer häufiger liegen Beeinträchtigungen im sozio-emotionalen Bereich vor, verursacht durch Bindungsstörungen“, erklärte Lebenshilfe-Vorstand Dirk Botzon. „Diese Menschen können sich meist erst dann für Fertigkeiten und Wissen öffnen, wenn eine sichere Bindung vorhanden ist.“ Aus diesem Grund haben die Mitarbeiter in den Dillenburger Werkstätten als Bezugsperson jeweils ein bis zwei feste Ansprechpartner.

„Fakt ist, dass wir uns jeden einzelnen ganz genau anschauen und uns fragen müssen, was für ihn der richtige berufliche Weg ist“, erläuterte Ralf Turk. Dem pflichtete Dirk Botzon bei: „Denn Menschen mit Behinderungen sind keine homogene Gruppe.“

Eigene Einrichtungen zur individuellen Betreuung und Förderung, aber gleichzeitig immer nach außen hin geöffnet – so lautet die Devise der Lebenshilfe Dillenburg. Dazu passt, dass es bereits seit 1968 eine Kooperation zwischen der Lebenshilfe Dillenburg und dem  Haigerer Unternehmen Hailo gibt: Hier wurden damals schon Außenarbeitsplätze geschaffen – lange bevor sie zum politischen Thema wurden.

Nach seinem Rundgang durch die Werkstatträume war Stephan Grüger nicht nur beeindruckt, sondern auch überrascht: „Eine solche Fertigungstiefe habe ich mir nicht vorgestellt“, gesteht er. Er habe bislang nur Behindertenwerkstätten kennengelernt, in denen Seife und Kerzen produziert wurden, aber „hier sind wir ja mittendrin in der industriellen Produktion, das ist toll!“.