Sophie Göbel möchte Anglistik studieren, Max Bombe eine Ausbildung im Metallbereich beginnen. Dass die beiden zwischen Schule und Berufsziel ein Jahr lang mit Menschen mit Behinderungen verbringen würden, stand eigentlich nicht auf ihrer Lebensliste. Und doch wurde das Freiwillige soziale Jahr (FSJ) bei der Lebenshilfe Dillenburg für sie zu einer prägenden und unvergesslichen Zeit.
„Ich bin sehr froh, dass das geklappt hat“, sagt die 20-Jährige aus Langenaubach, die bis zur 12. Klasse die Gewerblichen Schulen in Dillenburg besucht hat. Die Lebenshilfe Dillenburg war ihr nicht unbekannt: In den Schulferien hatte sie bereits in der Werkstatt in Flammersbach als Produktionshelferin gejobbt. Auch ihrem FSJ-Kollegen Max Bombe war die Lebenshilfe vertraut. Er selbst besuchte als Kind die Integrative Kita in Burg, seine Mutter arbeitet dort seit vielen Jahren. Und doch war es für beide eine neue Herausforderung, fester Teil des Arbeitsalltags zu werden in dem Verein, der im nördlichen Lahn-Dill-Kreis rund 1000 Menschen mit Behinderungen betreut.
Der 15. August 2018. Tag eins im FSJ. Tag eins in der Werkstatt in Dillenburg. Industrielle Arbeit trifft auf pädagogische Arbeit. „Viel Neues, viele neue Eindrücke. Ich habe mich damals nicht getraut, viel zu sagen“, erinnert sich Sophie Göbel. „Und ich bin ohnehin schon ein sehr ruhiger Mensch.“ Eine Eigenschaft, die sie im Laufe des Jahres nicht abgelegt hat, die aber durchaus wirkungsvoll war, wie ihr Werkstattleiter Lars Lückoff einen Monat vor Ende ihrer FSJ-Zeit bescheinigt: „Du bist ein Ruhepol für unsere Beschäftigten. Du hast zu ihnen einen Zugang gefunden auf deine Art. Du warst echt und hast dich nicht verstellt – deshalb mögen dich unsere Leute so.“
Zurückhaltend sei Max Bombe zunächst auch gewesen. „Ich war am Anfang eher so der Beobachter“, blickt der ehemalige Schüler des Herborner Johanneums zurück. „Nach und nach habe ich dann aber immer mehr kennengelernt , erkannt, wo ich gebraucht werde, und merke jetzt an mir selbst, dass ich viel offener geworden bin.“ Die Arbeitsabläufe hat er schnell verinnerlicht und gleichzeitig ein Gespür für die Betreuten in seiner Gruppe entwickelt. „Obwohl ich viel jünger bin als die Beschäftigten, gelingt es mir inzwischen, dass ich ernstgenommen werde und sogar mal kleinere Streitigkeiten schlichten kann“, sagt der 17-Jährige. Eine hohe Selbstständigkeit habe sich der FSJler erarbeitet, bescheinigt ihm auch der Einrichtungsleiter: „Hier sieht man deutlich, dass das Jahr bei uns mehr ist als nur eine zeitliche Überbrückung.“
Doch die beiden Freiwilligen haben nicht nur über sich selbst viel gelernt in diesem einen Jahr, sondern auch die Menschen, die sie in dieser Zeit betreut haben. „Menschen mit Behinderungen werden viel zu oft unterschätzt“, resümiert Sophie Göbel. „Außenstehende wissen gar nicht, was und wie viel hier in den Werkstätten gearbeitet wird.“
Was sowohl sie als auch Max Bombe am meisten vermissen werden, wenn das Jahr vorbei ist: ein sehr besonderes, positives Arbeitsklima. „Jeden Tag gibt es hier etwas zu lachen, selbst in stressigen Momenten“, sagt die künftige Studentin. „Und wenn du nur mal im Urlaub bist und die Menschen mit Behinderung dich in dieser Zeit schon vermissen und nach dir fragen – das ist schon ein sehr schönes Gefühl.“
Zum Wintersemester beginnt sie ihr Studium in Gießen. „Als Aushilfe möchte ich der Lebenshilfe aber erhalten bleiben“, sagt sie. Max Bombe beginnt Anfang September seine Ausbildung beim Kaltwalzwerk Outokumpu Nirosta GmbH. Einem Unternehmen, das in verschiedenen Projekten mit den Dillenburger Werkstätten verknüpft ist. Er ist sich sicher: „Die Erfahrungswerte, die ich bei der Lebenshilfe gesammelt habe, werde ich auch im Berufsleben gebrauchen können.“