Bundestagswahl: “Jede Stimme ist wichtig”

Sascha Ernst und Marlies Repp – zwei Menschen von bundesweit 85.000, die in diesem Jahr erstmals bei der Bundestagswahl stimmberechtigt sind.

38 Fragen. Mietbremse. Steuern. Impfpatente. Kohleausstieg. Werkstatt-Gruppenleiter Johannes Krauss geht sie Schritt für Schritt mit seinem Betreuten Sascha Ernst am Wahl-O-Maten durch. Erklärt, wenn Formulierungen zu kompliziert sind.

Politik interessiert den 45-jährigen Werkstattbeschäftigten. „Jeden Tag schaue ich Nachrichten, da kriege ich viel mit“, sagt er. Wen er wählen will, weiß er noch nicht. „Oft kommt bei unserer Politik am Ende ja immer nur das Gleiche heraus.“

Doch seine Stimme zählt am 26. September. Nach vielen Jahren, in denen Menschen mit Behinderungen kein Kreuz setzen durften. Bis 2019 durften sie nicht an Wahlen teilnehmen. Ausschlusskriterium war bis dahin die umfassende Betreuung in allen Lebenslagen. Nun ist es ihnen durch die Gesetzesänderung möglich – bei Bedarf mit Unterstützung einer Wahlassistenz.

Eine Wahlassistenz braucht der Werkstattbeschäftigte nicht, aber Entscheidungshilfe. Daher klickt er sich durch den Wahl-O-Maten. Klare Meinungen hat er zu allen Themen. Etwa: „Parteien sollen keine Spenden erhalten. Da sollte lieber mal mehr an die Lebenshilfe gespendet werden.“ Eine Sache ist ihm besonders wichtig: „Gleichheit. Dass keine Unterschiede zwischen den Menschen gemacht werden. Das habe ich von meinem Vater gelernt.“

Sascha Ernst hat klare Meinungen zu politischen Themen. (Foto: Holtfoth)

Ernst ist in diesem Jahr im Wahlvorstand zur Wahl des Werkstattrats tätig, in dem er selbst über viele Jahre hinweg aktiv war. Auf viele Jahre im Werkstattrat blickt auch Marlies Repp zurück. Die 61-Jährige ist seit 2011 Mitglied dieses Gremiums, zieht sich aber in diesem Jahr gesundheitsbedingt zurück. Die Aufgabe im Werkstattrat lag ihr stets sehr am Herzen: „Ich habe mich immer schon gern für Menschen und ihre Anliegen eingesetzt.“

Dass Menschen mit Behinderung viele Jahre lang nicht wahlberechtigt waren, kann sie nicht nachvollziehen. „Ich finde es schade, dass Menschen wie ich vorher nicht berücksichtigt wurden.“ Was sich die Beschäftigte der Werkstatt Flammersbach von Politik und Gesellschaft wünscht: „Menschen mit Behinderung müssen mehr wahrgenommen und eingebunden werden.“  Ein wichtiges Anliegen ist ihr die Barrierefreiheit – sowohl sprachlich als auch baulich. Darüber hinaus interessiert sie sich sehr dafür, „wie es nach der Wahl in Sachen Rente, Mehrwertsteuer und Arbeitslosengeld weitergeht“.

Ihr Kreuzchen hat sie bereits gesetzt – per Briefwahl. „Natürlich wähle ich. Denn jede Stimme ist wichtig.“

Marlies Repp war viele Jahre im Werkstattrat aktiv. Ihr Kreuzchen für die Bundestagswahl hat sie per Briefwahl bereits gesetzt. (Foto: Holtfoth)