“Down-Syndrom ist nie gleich Down-Syndrom”

Ein Schmatzer für Hündin „Schnitzel“. Sie und ihre beiden Welpen springen aufgeregt um Julian herum. Dieser lacht laut auf und flitzt davon. Momentaufnahme im Leben der Familie Rischa in Aßlar. Dass ihr Sohn mit drei Jahren problemlos laufen würde, hat Siggi Rischa nicht zu hoffen gewagt. Julian hat das Down-Syndrom. Eine Diagnose, die das Leben der Rischas von einem Moment auf den anderen völlig auf den Kopf gestellt hat.

Es war der 17. Dezember 2018, als Julian auf die Welt kam. Zwei Monate vor dem errechneten Geburtstermin. Eine Hochrisikoschwangerschaft mit besonderer Vorgeschichte. Denn die Rischas hatten die Hoffnung auf ein Kind nach sieben gescheiterten künstlichen Befruchtungen bereits fast aufgegeben. Einen letzten Versuch sollte es geben – und dieser war erfolgreich. Die Lehrerin der Gewerblichen Schulen in Dillenburg weiß heute noch, wie sie gerade Teil einer Prüfungskommission war, als der Anruf kam. „Frau Rischa, Sie sind schwanger.“

Während der Schwangerschaft ergab der Ultraschall bei der Nackenfaltenmessung eine minimale Abweichung. Es folgte ein Bluttest. Sicherheitshalber. Um festzustellen, ob das Kind das Down-Syndrom haben könnte. Das Ergebnis: Die Wahrscheinlichkeit, dass das Baby mit diesem Gendefekt auf die Welt kommen könne, liege bei 1:20.000. „Das war natürlich eine Erleichterung, Aber egal, wie das Ergebnis gewesen wäre – für mich stand fest: Ich behalte das Kind sowieso.“

Der Bluttest, der früher noch privat gezahlt werden musste, ist ab diesem Jahr Kassenleistung. Eine Entwicklung, die Siggi Rischa nicht weiter verwundert – ebenso wenig wie die Tatsache, dass neun von zehn Kindern mit Down-Syndrom inzwischen abgetrieben werden. „In unserer Gesellschaft steht Perfektion an erster Stelle. So gesehen ist das eine Statistik, die in unsere heutige Welt passt. Und ich denke auch, dass man Frauen nicht verurteilen darf, wenn sie sich dem gesellschaftlichen Druck nicht gewachsen sehen. Denn ein Kind mit Down-Syndrom entspricht nun mal nicht den gesellschaftlichen Ansprüchen von Perfektion.“

Julian ist ein Überlebenskämpfer – seit seiner Geburt (Foto: Rischa)

Als Julian per Kaiserschnitt auf die Welt kam, hatte Siggi Rischa schnell die Vermutung, dass ihr Kind das Down-Syndrom haben könnte. Bestätigung von Seiten der Klinik erhielt sie erst deutlich später. „Da lag dann zunächst bloß eine Broschüre der Lebenshilfe auf dem Tisch, und ich wusste direkt Bescheid“, erinnert sie sich. Sie hörte im Gespräch von möglichen Herzfehlern und von einem erhöhten Risiko auf Leukämie. „Es war, als hätte man mit einem Hammer auf den Kopf geschlagen.“ Für ihren Mann Dorel sei ebenfalls eine Welt zusammengebrochen, sagt die 39-Jährige. „Als für ihn klar war, dass er einen Sohn bekommt, hatte er sich schon alles ausgemalt.“ Autos, Fußball, echte Männerthemen, die Vater und Sohn teilen würden. Und jetzt?

Down-Syndrom.

Eine Diagnose, die sacken musste, aber nicht konnte. Weil plötzlich alles ganz schnell ging. Zunächst der Check beim Kardiologen. Erste Erleichterung: nur kleine Löcher in Julians Herzen, die nicht operiert werden müssen. Dann folgten umgehend erste Hilfs- und Förderangebote. Frühe Hilfen, Ergotherapie, Physiotherapie, Familiengruppen – „das volle Programm. Es gab gar keine Zeit, sich mit der Situation wirklich auseinanderzusetzen.“

Gelacht wird gern und viel im Hause Rischa. Julian ist der beste Beweis dafür. (Foto: Holtfoth)

Drei Jahre später. Julian grinst sein breites Grinsen. Kleine Kekskrümel kleben an seinen Lippen. Die Zeit, als er noch per Sonde ernährt werden musste, liegt hinter den Rischas.  Ebenso wie Zeiten, in denen wegen einer mehrfachen Erkrankung am RS-Virus sein Leben gleich zweimal auf der Kippe stand. Julian ist ein kleiner Überlebenskämpfer. Und entwickelt sich ständig weiter. „Das ist etwas, das wir schon früh gelernt haben. Down-Syndrom ist nie gleich Down-Syndrom. Da gibt es in den Entwicklungen der einzelnen Menschen wahnsinnig große Unterschiede.“

Seitdem Julian in der Integrativen Kindertagesstätte der Lebenshilfe Dillenburg in Herborn-Burg ist, häufen sich seine Fortschritte zusehends. „Er wäscht sich allein die Hände, bringt mir seinen Teller, rückt nach dem Essen seinen Stuhl zurück an den Tisch. Es ist fantastisch zu sehen, wie viel die gute Struktur der Kita zu Julians Entwicklung beiträgt.“ Was sie sich für Julian wünscht: „Dass er reden lernt und irgendwann möglichst eigenständig wird. Julian muss nicht studieren oder Goethe lesen, aber ich möchte, dass er glücklich und gesund ist.“

Ob sie, die Vollzeit-Lehrerin und Vollzeit-Mutter, nicht manchmal am Ende ihrer Kräfte sei. Sie lacht nur. „Seit Julian habe ich kein eigenes Leben mehr, das stimmt schon. Und ich hatte auch Momente, in denen ich mich gefragt habe, wie ich das alles schaffen soll. Aber Julian ist es mir wert. Eine Freundin hat einmal zu mir gesagt: ,Dieses Kind hat euch einfach ausgesucht.‘ Ich würde mir auch gar nicht wünschen, dass er das Down-Syndrom nicht hat. Denn ohne das wäre er nicht er. Und ich liebe ihn genauso, wie er ist.“

Kuscheleinheit mit Mama Siggi Rischa. (Foto: Holtfoth)