Müller schreibt 48 Jahre Lebenshilfe-Geschichte

Conny Müller hat Lebenshilfe-Geschichte geschrieben. 48 Jahre lang hat sie für die Lebenshilfe Dillenburg gearbeitet. Angefangen als Praktikantin 1974 im Haus „Schauinsland“ in Haiger – damals zuständig für eine Gruppe von sieben Kindern mit Behinderung. Heute als Leiterin der Integrativen Kindertagesstätte in Burg, in der inzwischen 87 Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam spielen und miteinander aufwachsen. Am 9. Dezember verabschiedet sich die 65-Jährige in den Ruhestand.

Frau Müller, wie geht es Ihnen?

Conny Müller: Ach, ganz gut eigentlich. Der Abschied ist ein Prozess, mit dem ich mich nach und nach auseinandersetze. Im September haben mich die Kolleginnen und Kollegen bereits ganz toll verabschiedet, und seit Oktober mache ich mit meiner Nachfolgerin Michelle Duschek die Übergabe. Ich werde das hier schon vermissen. Vor allem zu erleben, wie Kinder sich entwickeln.

Hatten Sie Lieblingskinder in all den Jahren?

Conny Müller: Lieblingskinder wäre zu viel gesagt. Ich hatte oft ein Herz für herausfordernde Fälle. Und ich freue mich, wenn man nach vielen Jahren mitbekommt, was aus den Kindern geworden ist. Ob es nun ein Roland mit Down-Syndrom ist, der eins meiner ersten Kita-Kinder war und nun in den „Police Adventure“-Filmen die Hauptrolle gespielt hat, oder eine Nina mit Asperger-Syndrom, die ihr Studium mit Diplom abgeschlossen hat.

Apropos Studium, wegen der Lebenshilfe haben Sie sich ziemlich kurzfristig gegen ein Studium entschieden.

Conny Müller: Ja, das war 1978. Eigentlich wollte ich nach Darmstadt und Sonderpädagogik studieren. Es war auch schon alles geplant. Als dann aber bei der Kita Not am Mann war, habe ich kurzfristig eine Gruppe in Dillenburg übernommen.

Und einen Praktikanten…

Conny Müller: Ja, der ehemalige Kita-Praktikant, der heute mein Ehemann ist. Ich habe also den Praktikanten quasi übernommen (lacht). Dabei hatte uns in erster Linie die Musik verbunden und nicht die Arbeit.

Im Gegensatz zu Ihnen ist er ja auch nicht bei der Lebenshilfe geblieben. Wie erging es Ihnen denn in den darauffolgenden Jahren?

Conny Müller: 1981 habe ich die Leitung der Kita übernommen, und zehn Jahre später stand dann der Umzug nach Burg mit der Gründung des Kinderzentrums an.

Ein Umzug, der von Seiten der Burger Bevölkerung nicht gerade gern gesehen wurde…

Conny Müller: Das stimmt leider. Burg hatte sehr stark mit Rechtsextremismus zu tun in dieser Zeit. Es wurden schwarze Fahnen gehisst, unser Rohbau wurde mit Hakenkreuzen beschmiert. Die Bevölkerung war verunsichert und hat sich gefragt: Machen die unsere Kinder jetzt auch behindert? Mit unserer integrativen Kita waren wir eine Modelleinrichtung und mussten anderthalb Jahre kämpfen, bis wir im Ort akzeptiert wurden.

Wie hat sich Ihr alltägliches Arbeiten im Lauf der Zeit verändert?

Conny Müller: Kostenträger, Finanzierung, Rahmenvereinbarungen – meine Nachfolgerin hat jetzt die Aufgabe, all diese Dinge gleichzeitig verstehen und wuppen zu müssen, während ich das Glück hatte, alle Entwicklungen nach und nach miterleben und mitgehen zu können. Ich hatte Zeit, in alles hineinzuwachsen. Früher haben wir auch Dinge getan, die heute unvorstellbar sind: Wir haben Kinder mit nach Hause genommen, um die Eltern zu entlasten. Und ich bin in Haiger herumgefahren, um Eltern von Kindern mit Behinderung zu ermutigen, ihr Kind zu uns in die Kita zu geben. Wir sind mit den Kindern zur Freizeit nach Cuxhaven gefahren. Heute absolut undenkbar. Wir hatten damals mehr Freiheiten, da es keine Regulatoren gab, aber auch deutlich weniger Unterstützung als heute. Da sind wir vor allem als Lebenshilfe Dillenburg auf einem guten Weg.

Was ist Ihr Wunsch für die Zukunft der integrativen Kita in Burg?

Conny Müller: Dass unsere Kinder hier weiterhin die besten Unterstützungsmöglichkeiten bekommen. Auch was Personal und Ausstattung angeht. Trotz all der Dinge, die in den nächsten Jahren bundesweit finanziell zu schultern sind.

Was werden die Dinge sein, die Sie tun werden, wenn Sie Ihren letzten Arbeitstag hinter sich gebracht haben?

Conny Müller: Zunächst mal werde ich meinen Wecker töten…

Sie sind ein Morgenmuffel?

Conny Müller: Ja, tatsächlich. Zumindest genieße ich es, morgens erst einmal in Ruhe zu frühstücken und die Zeitung zu lesen. Dann habe ich vor, mich wieder mehr in der Gemeinde zu engagieren. Und ich überlege auch, ob ich vielleicht Tierpsychologie studiere. Das hat mich immer gereizt. Wir werden sehen…