Zehn Jahre Entlastung für Familien

Als Anita Groskurt vor zehn Jahren zum Bewerbungsgespräch zur Lebenshilfe Dillenburg eingeladen wurde, hatte sie sich eigentlich auf eine ganz andere Stelle beworben. Sozialer Dienst in den Dillenburger Werkstätten – das war eigentlich ihr Plan gewesen. Doch es kam anders. Am Tag nach dem Vorstellungsgespräch erhielt sie einen Anruf vom Vorstand, ob sie sich stattdessen die Leitung eines neuen Bereichs vorstellen könne: des Familienentlastenden Dienstes (FeD). Und sie konnte.

Der Familienentlastende Dienst tut das, was sein Name verspricht: Er entlastet Familien, die durch die Betreuung ihres Angehörigen einen herausfordernden Alltag meistern. Diesen Familien ermöglicht der FeD eine Auszeit – mit regelmäßigen Gruppenangeboten und Einzelbetreuung. Im Kleinen angefangen hat das Angebot der Lebenshilfe schon vor 20 Jahren mit regelmäßigen Gruppenaktionen, damals noch unter dem Namen „Sujet“. Lebenshilfe-Mitarbeiterin Olga Depis-Wagner organisierte seit 2007 die verschiedenen Freizeitangebote, an denen behinderte Mitglieder des Vereins kostenlos teilnehmen konnten. Die Kosten für Fahrt und Betreuung trug damals der Verein. Was einst mit sieben betreuten Erwachsenen angefangen hatte, wuchs jedoch schnell auf 40 bis 50 Teilnehmer an, was zur Folge hatte, dass über eine neue Art der Finanzierung nachgedacht werden musste. Nach Verhandlungen mit dem Lahn-Dill-Kreis erhielt „Sujet“ im Spätsommer 2010 nicht nur einen neuen Namen und eine neue Leitung, sondern auch eine neue Struktur. Die Gruppenangebote sollten erweitert, die Kosten gesichert werden. Die Kostensicherung erfolgte von da an über die Pflegekasse oder über den Lahn-Dill-Kreises, seit 2018 auch über den Landeswohlfahrtsverband. Heute sind es rund 90 Menschen, die der FeD betreut.

Zu Beginn informierte das damals noch zweiköpfige FeD-Team aus Groskurt und Depis-Wagner noch monatlich per Brief über die anstehenden Gruppenangebote. Später erschien dann jeweils halbjährlich ein Programmheft mit einer Übersicht aller Aktionen. Einige der Ausflüge haben sich als Highlights über all die Jahre hinweg etabliert. Zum Beispiel Fahrten zu den Karl-May-Festspielen in Elspe oder Besuche in großen Zoos. „Aber auch Veranstaltungen wie unsere Faschingsfeiern und Oktoberfeste kamen immer sehr gut an“, erzählt Groskurt. Wie sich das halbjährliche Programm zusammensetzt, können die Betreuten selbst mitbestimmen. Einmal im Jahr gibt es ein gemeinsames Kaffeetrinken mit Bildershow und Rückmeldung der Klienten, was besonderen Spaß gemacht hat und welche Angebote sie sich für das kommende Jahr wünschen.
Eine Aktion, die sie nicht so schnell vergessen wird: eine Schifffahrt auf dem Biggesee. Dort wurde Groskurt von einem Fremden angesprochen, der von der Gruppe behinderter Menschen und deren Lebensfreude begeistert war. „Es sei toll, wie wir mit den Menschen umgehen, sagte er, und dass er das gern unterstützen wolle.“ Tatsächlich übernahm er die Kosten der gesamten Gruppe für den Ausflug.

Spaß und gute Laune sind bei den FeD-Aktionen immer Programm.

Nicht immer geht jedoch alles rund. Diese Erfahrung hat Groskurt in den zehn Jahren auch mehrfach gemacht. Neben einigen Buspannen erinnert sie sich auch immer noch an eine missglückte Kino-Veranstaltung im Wohnheim in Manderbach. Die Fernbedienung des DVD-Spielers fehlte, die Sprache des Films ließ sich nicht einstellen. Alternativ hatte das FeD-Team dann aber noch einen deutschsprachigen Film zur Hand, der dann aufgelegt wurde – allerdings mit Blaustich. Zwischendrin gab es eine kurze Toiletten- und Essenspause. Ein Fehler. „Denn inzwischen hatte sich der DVD-Spieler abgeschaltet, und wir mussten von vorn starten.“ Was zur Folge hatte, dass vor dem Ende des Films die Busse zum Abholen bereitstanden. „Uns tat das unglaublich leid für unsere Betreuten, doch einer von ihnen sagte nur zu mir: Ist doch nicht so schlimm.“ Und das sei etwas, was die Aufgabe auch so reizvoll mache: „Egal, wie stressig alles schon mal ist und wie flexibel man sein und einen Plan B aus der Schublade zaubern muss – von den von uns betreuten Menschen bekommt man immer ganz viel zurück.“
2011 hat der FeD sein Angebot um stundenweise Einzelbetreuung im häuslichen Umfeld oder außerhalb ergänzt. Dieses richtete sich zunächst nur an Erwachsene, wurde dann auf Kinder im Vorschulalter erweitert. „Wir versuchen, auf alle Bedürfnisse individuell einzugehen“, sagt Groskurt. „Das gilt auch für Einzelbetreuung bei Gruppenausflügen. Wenn jemand die braucht, machen wir das möglich.“

Darüber hinaus bietet der FeD integrative Projekte an, an denen Menschen mit und ohne Behinderung kostenfrei teilnehmen. Dazu zählen unter anderem ein Tanz- und ein Fitnesskurs. Diese Angebote sind eine hervorragende Möglichkeit, den Klienten des FeD Begegnungen mit Menschen außerhalb ihres üblichen Umfeldes zu ermöglichen und somit gesellschaftliche Teilhabe umzusetzen.

Zu den regelmäßigen Integrativangeboten des FeDs zählt der Tanzkurs in der Tanzschule Bös.

Das Team des Familienentlastenden Dienstes ist gewachsen im Laufe der Jahre. Olga Depis-Wagner wechselte 2014 ins Betreute Wohnen der Lebenshilfe, als Bürokraft kam Doris Stöcklein hinzu. Außerdem ergänzt Bianca Natale seit 2016 als pädagogische Fachkraft für den Gruppenbereich das Team. Darüber hinaus sind 26 Honorarkräfte, insbesondere Studierende, in der Einzel- und Gruppenbetreuung im Einsatz.

Dankbare Rückmeldungen von Angehörigen bestätigen den FeD immer wieder in seiner Arbeit. „Ihr habt uns einen Engel geschickt“, hieß es etwa nach einer Einzelbetreuung. Oder die Aussage einer Mutter, deren Sohn regelmäßig an den Gruppenangeboten teilnimmt und die hierdurch für sich selbst spürbare Entlastung erfährt: „Ich kann Eltern von behinderten Kindern nicht verstehen, die so etwas nicht nutzen. Mal essen gehen, Freunde treffen, einfach mal was für mich tun – das ist so wichtig. Ich genieße diese freie Zeit, sie tut mir einfach gut. Und gleichzeitig weiß ich, dass es meinem Sohn gut tut. Man muss sich als Elternteil klar machen, dass man auch noch ein eigenes Leben hat und Kraft braucht. Nicht nur für jetzt, sondern für viele Jahre.“