„Lea, du bist die perfekte Frau für mich. Du hast alles, was ich mir von einer Frau vorstelle.“
Die 21-jährige Praktikantin des Betreuten Wohnens der Lebenshilfe Dillenburg lacht. „Ja, echt?“
Der Mann mit Behinderung darauf: „Klar, du hast ein Auto und kannst mich überall hinfahren.“
Im ersten Moment witzig, jedoch zeigt die Situation ebenso deutlich die persönlichen Bedürfnisse und Wünsche eines Mannes mit Behinderung. Einsamkeit, fehlende Mobilität und nur wenige soziale Kontakte oder Beziehungen – mit dieser Thematik setzen sich die Mitarbeiter des Betreuten Wohnens oft auseinander.
Das hat auch Lea Wölke, Studentin der Sozialen Arbeit, in ihren zehn Wochen bei der Lebenshilfe Dillenburg miterlebt. Eigentlich wollte sie die Zeit in einer der Werkstätten der Lebenshilfe Dillenburg verbringen. Doch da dort für diesen Zeitraum kein Praktikum möglich war, kam sie in den Bereich des Betreuten Wohnens.
„Betreutes Wohnen, darunter konnte ich mir zuerst überhaupt nichts vorstellen“, sagt sie. Durch den Bereichsleiter habe sie dann erst einmal erfahren, was sich hinter dem Begriff verbirgt: ein ambulantes Betreuungsangebot für Menschen mit geistigen, psychischen oder körperlichen Behinderungen, die mit individueller Unterstützung in der Lage sind, ihren Lebensalltag zu meistern. Die Behinderung ist ihnen in vielen Fällen nicht anzusehen. Die Klienten leben nicht in einem stationären Wohnheim, sondern in einer eigenen Wohnung oder auch in einer Wohngemeinschaft. Sie in Krisen und Konflikten zu unterstützen und zu stärken, bei Behördengängen, Arztbesuchen und der Haushaltsführung zu begleiten, fester Ansprechpartner zu sein – das fällt unter anderem in den Aufgabenbereich des Betreuten Wohnens.
„Viel organisieren, flexibel auf Situationen reagieren, jeden Einzelnen ganz individuell betreuen. Das ist eine tolle und enorm vielseitige Arbeit“, sagt die Rittershäuserin. Vom ersten Tag an hat sie im Wechsel die Mitarbeiter des Betreuten Wohnens bei ihren Terminen begleitet. „Mich hat es überrascht, wie offen die Klienten mir direkt von Anfang an viele Dinge aus ihrem Leben erzählt haben, auch ganz intime. Da weiß man zunächst gar nicht genau, wie man damit umgehen soll.“
Als Mitarbeiter des Betreuten Wohnens ist man nah dran am Menschen. „Das ist eine wirklich ganz enge Beziehungsarbeit, die ich hier kennengelernt habe.“ Nähe, Bindung und Distanz – eine anspruchsvolle Aufgabe, hier das richtige Maß zu finden, sagt sie. „Gerade weil viele Menschen aus dem Personenkreis sehr einsam sind. Sie freuen sich häufig darüber, dass man zu ihnen kommt und Zeit mit ihnen verbringt. Oft sind die Betreuer die einzigen Kontaktpersonen. Und das ist eine große Aufgabe, denn man hat dabei viel Verantwortung, aber auch Einfluss, und ist gefordert, beides klug und angemessen einzusetzen.“ Bedeutet: niemanden zu bevormunden, aber einen so weit wie möglich sicheren Rahmen zu geben.
Ihr selbst sei die nötige Distanz schon mal schwergefallen. „Einige Lebensgeschichten und Schicksalsschläge der Klienten sind mir schon sehr nahegegangen, die haben mich abends im Bett noch beschäftigt.“ Doch was ihr dabei auffiel: „Die Menschen mit Behinderung sehen ihr Leben gar nicht so, wie wir es von außen sehen. Das hat auch einiges mit mir gemacht. Ich habe viel über mich selbst gelernt. In den zehn Wochen hier habe ich so viel zurückbekommen.“
In der ambulanten Form des Betreuten Wohnens begleitet die Lebenshilfe Dillenburg rund 120 Klienten. Die Zahl der stationären und ambulanten Betreuungsplätze ist bei der Lebenshilfe Dillenburg nahezu ausgeglichen – eine hessenweit einzigartige Quote. Bereits seit Jahren besteht für Studierende der Sozialen Arbeit die Möglichkeit, das Anerkennungsjahr im Betreuten Wohnen zu absolvieren. Praktikanten wie Lea Wölke mit einem mehrwöchigen Blockpraktikum sind dort noch ein Novum. „Aber eines, das wir künftig gern für Studierende der Sozialen Arbeit oder angehende Erzieher und Heilerziehungspfleger anbieten wollen“, sagt Antje Rau, Standortleitung des Betreuten Wohnens in der Kreuzgasse Haiger. „Wir freuen uns, dass wir Lea den Wert unserer psychosozialen Aufgabe und auch den besonderen Reiz daran vermitteln konnten.“